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Liberating Structures: 33 Mikroformate für bessere Meetings

Liberating Structures: 33 Mikroformate für bessere Meetings
Das Geniale: Jede Struktur ist in Minuten erlernbar, skaliert von 5 bis 500 Personen und kann sofort eingesetzt werden. Keine langen Trainings, keine teuren Berater – nur clevere Formate, die funktionieren.

Das Geniale: Jede Struktur ist in Minuten erlernbar, skaliert von 5 bis 500 Personen und kann sofort eingesetzt werden. Keine langen Trainings, keine teuren Berater – nur clevere Formate, die funktionieren.

Was sind Liberating Structures?

Liberating Structures sind Mikrostrukturen für Meetings, die minimale Regeln setzen, aber maximale Beteiligung ermöglichen.

Die Grundidee


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│   KONVENTIONELLE MEETINGS                               │
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│   • Einer spricht, alle hören                           │
│   • Experten dominieren                                 │
│   • Passive Teilnahme                                   │
│   • Wenige Stimmen werden gehört                        │
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│                        ↓                                │
│                                                         │
│   LIBERATING STRUCTURES                                 │
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│   • Alle sprechen, alle hören                           │
│   • Kollektive Intelligenz                              │
│   • Aktive Beteiligung                                  │
│   • Jede Stimme zählt                                   │
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Die 10 Prinzipien

  • Einladung statt Kontrolle – Teilnahme ist freiwillig und ermächtigend
  • Vertrauen – Menschen haben die Antworten
  • Einfachheit – Wenige Regeln, maximale Wirkung
  • Vielfalt – Verschiedene Perspektiven einbeziehen
  • Selbstorganisation – Gruppen regulieren sich selbst
  • Transparenz – Prozesse sind für alle sichtbar
  • Emergence – Ergebnisse entstehen im Prozess
  • Experimentieren – Ausprobieren statt perfektionieren
  • Gleichberechtigung – Hierarchie wird vorübergehend aufgehoben
  • Praktisch – Sofort anwendbar, keine langen Trainings
  • Die 10 wichtigsten Liberating Structures

    1. 1-2-4-All

    Die vielseitigste Struktur – einsetzbar für fast alles.

    Zweck: Ideen generieren, Reflexion ermöglichen, alle einbeziehen

    Dauer: 12–15 Minuten

    Ablauf:

  • 1 Minute allein: Jeder reflektiert still für sich
  • 2 Minuten zu zweit: Paare tauschen sich aus
  • 4 Minuten zu viert: Vierergruppen konsolidieren
  • 5 Minuten alle: Wichtigste Erkenntnisse im Plenum teilen
  • Anwendung:

    • Feedback zu Präsentationen
    • Ideensammlung
    • Reflexionsfragen
    • Entscheidungsvorbereitung
    Tipp: Funktioniert mit 5 bis 500 Personen. Zeitboxen strikt einhalten!

    2. Troika Consulting

    Peer-Coaching in Dreiergruppen.

    Zweck: Praktische Hilfe von Kollegen bekommen

    Dauer: 30 Minuten (10 Min. pro Person)

    Ablauf:

  • Dreiergruppen bilden (Knie an Knie, kein Tisch)
  • Person A („Klient") teilt ihre Herausforderung (2 Min.)
  • Person A dreht sich um (Rücken zur Gruppe)
  • B und C beraten laut, A hört nur zu (5 Min.)
  • A dreht sich zurück, teilt was hilfreich war (1 Min.)
  • Rotation: B wird Klient, dann C
  • Warum Umdrehen? Reduziert Defensive, fördert offenes Zuhören, ermutigt zu mutigen Ratschlägen.

    3. TRIZ

    Was müssen wir aufhören zu tun?

    Zweck: Kontraproduktives Verhalten identifizieren und stoppen

    Dauer: 35 Minuten

    Ablauf:

  • Frage: „Wie könnten wir das schlechtestmögliche Ergebnis erreichen?" (10 Min.)
  • Liste erstellen: Alle Wege zum Scheitern
  • Frage: „Was davon tun wir bereits?" (10 Min.)
  • Frage: „Was davon können wir sofort stoppen?" (10 Min.)
  • Anwendung:

    • Schlechte Gewohnheiten eliminieren
    • Blockaden lösen
    • Heilige Kühe schlachten

    4. 15% Solutions

    Was kann ich JETZT tun – ohne Erlaubnis, ohne Ressourcen?

    Zweck: Handlungsfähigkeit wiederherstellen

    Dauer: 20 Minuten

    Ablauf:

  • Frage vorstellen: „Was sind eure 15% Solutions?"
  • Jeder schreibt seine 15%-Lösung auf (5 Min.)
  • Kleingruppen teilen und unterstützen (10 Min.)
  • Plenum: Muster und Inspirationen teilen (5 Min.)
  • Erklärung: 15% = der Teil einer Lösung, den du ohne Genehmigung, zusätzliches Budget oder fremde Hilfe umsetzen kannst.

    5. Impromptu Networking

    Schneller Einstieg, der alle aktiviert.

    Zweck: Warm-up, Ideensammlung, Vernetzung

    Dauer: 15–20 Minuten

    Ablauf:

  • Frage vorstellen (z.B. „Welche Herausforderung bringst du mit?")
  • Runde 1: Paare bilden, je 2 Min. austauschen (4 Min.)
  • Runde 2: Neue Paare, gleiche Frage (4 Min.)
  • Runde 3: Noch einmal neue Paare (4 Min.)
  • Plenum: Muster teilen (5 Min.)
  • Effekt: Mit jeder Runde werden die Antworten klarer und fokussierter.

    6. 25/10 Crowd Sourcing

    Die besten Ideen aus der Masse filtern.

    Zweck: Viele Ideen sammeln und priorisieren

    Dauer: 25 Minuten

    Teilnehmer: 15+ (je mehr, desto besser)

    Ablauf:

  • Jeder schreibt eine Idee auf Karte (5 Min.)
  • Alle mischen sich, tauschen Karten mit zufälligen Partnern
  • Jeder bewertet die Karte in seiner Hand (1–5 Punkte)
  • Nach 10 Tauschrunden: Punkte addieren
  • Top-Ideen vorstellen (höchste Punktzahl)
  • 7. Wicked Questions

    Paradoxe Fragen, die tieferes Denken auslösen.

    Zweck: Komplexität anerkennen, strategische Spannungen aufdecken

    Dauer: 25 Minuten

    Ablauf:

  • Erklären: Wicked Questions sind Paradoxe (Sowohl-als-auch statt Entweder-oder)
  • Format vorstellen: „Wie können wir X UND gleichzeitig Y?"
  • In Kleingruppen Wicked Questions formulieren (10 Min.)
  • Teilen und diskutieren (15 Min.)
  • Beispiele:

    • „Wie können wir schnell handeln UND sorgfältig planen?"
    • „Wie können wir innovativ sein UND Risiken minimieren?"
    • „Wie können wir autonom arbeiten UND als Team koordiniert bleiben?"

    8. What, So What, Now What?

    Strukturierte Reflexion nach Erlebnissen.

    Zweck: Aus Erfahrungen lernen, nächste Schritte ableiten

    Dauer: 30 Minuten

    Ablauf:

  • What? (10 Min.): Was ist passiert? Fakten sammeln.
  • So What? (10 Min.): Was bedeutet das? Muster, Erkenntnisse.
  • Now What? (10 Min.): Was tun wir jetzt? Nächste Schritte.
  • Anwendung:

    • Nach Projekten oder Experimenten
    • Retrospektiven
    • Nach Workshops oder Events

    9. Appreciative Interviews

    Erfolge als Grundlage für Veränderung.

    Zweck: Wurzeln von Erfolg entdecken und nutzen

    Dauer: 40–60 Minuten

    Ablauf:

  • Paare bilden
  • Frage: „Erzähle von einer Zeit, als du stolz auf das Team/Projekt warst. Was hat den Erfolg möglich gemacht?" (10 Min. pro Person)
  • Jeder teilt Geschichte seines Partners in Vierergruppen
  • Muster identifizieren: Was taucht in vielen Geschichten auf?
  • Plenum: Erfolgsfaktoren sammeln
  • 10. Min Specs

    Was ist wirklich unverzichtbar?

    Zweck: Das absolute Minimum an Regeln definieren

    Dauer: 30 Minuten

    Ablauf:

  • Frage: „Was sind die absoluten Must-Haves?" (5 Min. still)
  • Kleingruppen: Listen teilen und konsolidieren (10 Min.)
  • Plenum: Jede Gruppe teilt Top 3 (10 Min.)
  • Frage für jede Regel: „Können wir erfolgreich sein, ohne das?" Wenn ja, streichen.
  • Ergebnis: Liste der wirklich unverzichtbaren Anforderungen – oft kürzer als erwartet.

    Liberating Structures kombinieren (Strings)

    Die wahre Kraft entsteht durch Verkettung mehrerer Strukturen.

    Beispiel: Problemlösung (90 Minuten)

    
    
  • Impromptu Networking (15 Min.)
  • → Herausforderungen sammeln
  • 1-2-4-All (15 Min.)
  • → Wichtigste Herausforderung priorisieren
  • 15% Solutions (20 Min.)
  • → Erste Schritte identifizieren
  • Troika Consulting (30 Min.)
  • → Peer-Coaching für individuelle Lösungen
  • What, So What, Now What? (10 Min.)
  • → Reflexion und Abschluss

    Beispiel: Strategieentwicklung (120 Minuten)

    
    
  • Wicked Questions (25 Min.)
  • → Strategische Spannungen aufdecken
  • 1-2-4-All (15 Min.)
  • → Wichtigste Paradoxe priorisieren
  • TRIZ (35 Min.)
  • → Was müssen wir stoppen?
  • 25/10 Crowd Sourcing (25 Min.)
  • → Beste Ideen sammeln und priorisieren
  • 15% Solutions (20 Min.)
  • → Sofortige Handlungsmöglichkeiten

    Alle 33 Liberating Structures im Überblick

    Nr.NameZweck
    11-2-4-AllAlle einbeziehen, Ideen entwickeln
    2Impromptu NetworkingSchnelles Kennenlernen, Ideen sammeln
    3Nine WhysTiefe Motivation verstehen
    4Wicked QuestionsParadoxe Herausforderungen formulieren
    5Appreciative InterviewsErfolge verstehen und nutzen
    6TRIZKontraproduktives Verhalten stoppen
    715% SolutionsSofortige Handlungsoptionen finden
    8Troika ConsultingPeer-Coaching in Dreiergruppen
    9What, So What, Now What?Strukturierte Reflexion
    10Discovery & Action DialogueLösungen entdecken, die bereits funktionieren
    1125/10 Crowd SourcingBeste Ideen aus der Masse filtern
    12Shift & ShareWissen schnell verbreiten
    13Wise CrowdsKollektive Weisheit nutzen
    14Min SpecsMinimale Anforderungen definieren
    15Improv PrototypingSchnelle Prototypen testen
    16Helping HeuristicsBessere Hilfe geben
    17Conversation CaféTiefe Dialoge ermöglichen
    18User Experience FishbowlVon Nutzern lernen
    19Heard, Seen, RespectedEmpathie entwickeln
    20Drawing TogetherVisualisieren statt verbalisieren
    21Design StoryBoardsLösungen als Geschichte entwerfen
    22Celebrity InterviewWissen von Experten erschließen
    23Social Network WebbingNetzwerke sichtbar machen
    24What I Need From YouGegenseitige Abhängigkeiten klären
    25Open Space TechnologySelbstorganisierte Konferenzen
    26Generative Relationships STARBeziehungen stärken
    27Agreement-Certainty MatrixEntscheidungstypen erkennen
    28Simple EthnographyNutzer verstehen
    29Integrated~AutonomyBalance zwischen Einheit und Vielfalt
    30Critical UncertaintiesMit Unsicherheit umgehen
    31Ecocycle PlanningPortfolio managen
    32PanarchySystemische Veränderung verstehen
    33Purpose-To-Practice (P2P)Von Zweck zu Praxis

    Praktische Tipps für Facilitatoren

    Start mit den Basics

    Die Top 5 für Einsteiger:

  • 1-2-4-All
  • Impromptu Networking
  • Troika Consulting
  • 15% Solutions
  • What, So What, Now What?
  • Diese fünf decken die meisten Situationen ab und sind leicht zu lernen.

    Zeitboxen strikt einhalten

    Liberating Structures funktionieren durch klare Zeitgrenzen. Timer nutzen, konsequent wechseln.

    Klare Fragen formulieren

    Die Qualität der Frage bestimmt die Qualität der Antworten. Vor dem Meeting: Frage(n) sorgfältig formulieren.

    Physischen Raum nutzen

    • Stühle bewegen lassen
    • Im Raum verteilen
    • Keine festen Tische, wenn möglich
    • Bewegung fördern

    Mit kleinen Gruppen starten

    Erst in vertrautem Umfeld üben, dann ausweiten. Fehler machen ist erlaubt – daraus lernen.

    Liberating Structures digital

    Alle Strukturen funktionieren auch remote.

    Empfohlene Tools

    • Miro/Mural: Für visuelle Strukturen (Drawing Together, Ecocycle)
    • Zoom/Teams Breakout Rooms: Für Paare und Kleingruppen
    • Slido/Mentimeter: Für Voting und Crowd Sourcing
    • Timer: Sichtbar für alle

    Anpassungen für Remote

    • Klarere Instruktionen: Weniger spontane Nachfragen möglich
    • Mehr Zeit: Raumwechsel dauert digital länger
    • Backup-Plan: Technikprobleme einkalkulieren
    • Check-ins: Häufiger nachfragen, ob alle mitkommen

    Ressourcen

    Website

    liberatingstructures.com – Alle 33 Strukturen mit Anleitungen, Videos, Beispielen

    App

    Liberating Structures App – Für iOS und Android, hilft bei Auswahl und Verkettung

    Buch

    „The Surprising Power of Liberating Structures" – Von Lipmanowicz & McCandless

    Fazit: Kleine Strukturen, große Wirkung

    Liberating Structures beweisen: Manchmal braucht es nur kleine Änderungen, um große Wirkung zu erzielen. Die 33 Mikroformate sind keine komplexen Frameworks, sondern einfache Interventionen, die jeder sofort nutzen kann.

    Sie basieren auf einer einfachen Einsicht: In jeder Gruppe steckt mehr Intelligenz, als üblicherweise genutzt wird. Liberating Structures heben diesen Schatz – durch klare Strukturen, die Beteiligung fördern und Hierarchien vorübergehend aufheben.

    Der nächste Schritt: Wähle ein Meeting diese Woche. Ersetze den Diskussionsteil durch 1-2-4-All. Beobachte, was passiert. Dann: nächste Struktur ausprobieren.


    Muss ich alle 33 Strukturen kennen?

    Nein. Mit 5–10 Strukturen kommst du weit. Starte mit den Basics (1-2-4-All, Troika, 15% Solutions) und erweitere nach Bedarf.

    Funktionieren Liberating Structures auch mit skeptischen Gruppen?

    Ja. Erfahrungsgemäß überzeugt die erste positive Erfahrung Skeptiker. Als Experiment positionieren: „Lasst uns das einmal ausprobieren."

    Wie lerne ich am besten?

    Ausprobieren. Starte mit einer einfachen Struktur in einem sicheren Kontext. Reflektiere, was funktioniert hat. Wiederhole.

    Brauche ich spezielle Materialien?

    Meist nur Papier, Stifte, Timer. Für manche Strukturen: Sticky Notes, Flipcharts. Digital: Standard-Tools wie Miro/Zoom reichen.

    Kann ich Liberating Structures anpassen?

    Ja, aber verstehe erst das Original. Die Strukturen sind durchdacht. Anpassungen nach Erfahrung sinnvoll, nicht vorher.


    Stand: Dezember 2025

    Quellen: Henri Lipmanowicz & Keith McCandless – The Surprising Power of Liberating Structures liberatingstructures.com – Offizielle Website MSU Extension – Liberating Structures Series Christiaan Verwijs – Liberating Structures Guide