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Ideation Workshop: 50 Ideen in 2 Stunden generieren

Ideation Workshop: 50 Ideen in 2 Stunden generieren
Mit Methoden wie Crazy 8s, SCAMPER und How Might We produzieren Teams in zwei Stunden 50 oder mehr Lösungsansätze – weit mehr als in klassischen Brainstormings.

Ein Ideation Workshop ist eine strukturierte Kreativsession, die Teams in kurzer Zeit eine große Menge an Ideen generieren lässt. Mit Methoden wie Crazy 8s, SCAMPER und How Might We produzieren Teilnehmer in zwei Stunden 50 oder mehr Lösungsansätze – weit mehr als in klassischen Brainstormings. Der Schlüssel: klare Regeln, strikte Timeboxes und die richtige Kombination aus Einzel- und Gruppenarbeit.

Brainstorming hat ein Imageproblem. Die meisten Meeting-Teilnehmer kennen das Szenario: Einer redet, alle anderen nicken, am Ende stehen fünf mittelmäßige Ideen auf dem Flipchart. Studien zeigen, dass klassisches Brainstorming oft weniger und qualitativ schlechtere Ideen produziert als Einzelarbeit. Der Grund: Gruppendenken, soziale Hemmungen und die Dominanz einzelner Personen unterdrücken kreative Impulse.

Moderne Ideation-Methoden lösen dieses Problem, indem sie Einzelarbeit und Gruppenarbeit systematisch kombinieren. Als ich 2024 einen Ideation Workshop für ein Pharmaunternehmen moderierte, waren die Teilnehmer skeptisch: "Wir brainstormen seit Jahren – was soll jetzt anders sein?" Nach zwei Stunden hatten die sechs Teams insgesamt 73 Ideen generiert, davon 12, die später in die Produktentwicklung gingen. Der Unterschied zu vorherigen Sessions? Struktur, Timeboxing und die richtigen Methoden.

Warum klassisches Brainstorming oft scheitert

Klassisches Brainstorming – das spontane Zurufen von Ideen in der Gruppe – produziert nachweislich weniger und weniger diverse Ideen als strukturierte Einzelarbeit. Die Gründe sind psychologischer Natur: Produktionsblockaden, Bewertungsangst und soziales Faulenzen hemmen die Kreativität systematisch.

1953 veröffentlichte Alex Osborn, ein Werbefachmann, die Grundregeln des Brainstormings: Kritik zurückstellen, wilde Ideen begrüßen, auf Quantität setzen, Ideen kombinieren. Diese Regeln waren revolutionär – und funktionieren in der Praxis oft nicht.

ProblemBeschreibungAuswirkung
ProduktionsblockadeNur eine Person kann gleichzeitig sprechenIdeen gehen verloren
BewertungsangstAngst vor Kritik hemmt wilde IdeenNur "sichere" Vorschläge
Soziales FaulenzenEinzelne verlassen sich auf andereWeniger Engagement
AnkereffektErste Ideen dominierenWenig Diversität
GruppendenkenAnpassung an MehrheitsmeinungKonformität statt Kreativität

Die Lösung: Strukturierte Ideation-Methoden, die Einzelarbeit voranstellen, Timeboxes setzen und Bewertung strikt von Generierung trennen. Im Folgenden stelle ich die drei wirkungsvollsten Methoden vor.

Crazy 8s: 8 Ideen in 8 Minuten

Crazy 8s ist eine Rapid-Ideation-Technik, bei der Teilnehmer acht verschiedene Ideen in acht Minuten skizzieren – eine Idee pro Minute. Die Methode zwingt zum schnellen Denken, verhindert Overthinking und produziert eine breite Palette an Lösungsansätzen. Sie ist fester Bestandteil des Google Design Sprints und funktioniert für fast jede Problemstellung.

So funktioniert Crazy 8s:

  • Jeder Teilnehmer nimmt ein A4-Blatt und faltet es dreimal, sodass acht Felder entstehen.
  • Der Timer startet: 8 Minuten für 8 Skizzen.
  • Pro Feld skizziert jeder Teilnehmer eine andere Idee – keine Variationen, sondern eigenständige Konzepte.
  • Nach Ablauf der Zeit werden die Blätter im Team geteilt (ohne Diskussion).
  • Warum Crazy 8s funktioniert

    Die Zeitbegrenzung ist der Schlüssel. Eine Minute pro Idee lässt keine Zeit für Perfektion oder Selbstzensur. Teilnehmer greifen auf intuitive, oft unkonventionelle Lösungen zurück, die in längeren Nachdenkphasen verloren gehen würden.

    Crazy 8s eignet sich besonders für:

    • Frühe Ideation-Phasen, wenn viele Optionen gebraucht werden
    • Design-Herausforderungen (UX, Produkt, Service)
    • Teams, die zu langen Diskussionen neigen
    • Auflockerung festgefahrener Denkprozesse
    VarianteDauerFelderAnwendung
    Crazy 8s (Standard)8 Min8Breite Ideensuche
    Crazy 4s4 Min4Zeitknappheit, Fokus
    Crazy 16s16 Min16Sehr komplexe Themen
    Crazy 15-10 Min1Vertiefung der besten Idee

    Praxistipp: Crazy 8s richtig moderieren

    Bevor Sie Crazy 8s starten, formulieren Sie die Herausforderung als "How Might We"-Frage (dazu später mehr). Ohne klare Fragestellung entstehen beliebige Ideen ohne Fokus. Stellen Sie außerdem sicher, dass alle Teilnehmer verstehen: Es geht um Skizzen, nicht um Kunstwerke. Strichmännchen sind völlig ausreichend.

    SCAMPER: Systematisch neue Perspektiven gewinnen

    SCAMPER ist eine Ideation-Technik, die bestehende Produkte, Prozesse oder Ideen durch sieben gezielte Fragen transformiert: Substitute, Combine, Adapt, Modify, Put to other use, Eliminate, Reverse. Die Methode eignet sich besonders für inkrementelle Innovation und die Verbesserung bestehender Lösungen.

    Der amerikanische Werbefachmann Alex Osborn entwickelte die Grundlagen in den 1950ern, Bob Eberle formte sie 1971 zum SCAMPER-Akronym. Ursprünglich für Schulkinder konzipiert, ist SCAMPER heute in Unternehmen weltweit im Einsatz.

    Die sieben SCAMPER-Fragen

    BuchstabeEnglischDeutschBeispielfragen
    SSubstituteErsetzenWas können wir ersetzen? Welche Materialien, Prozesse, Personen?
    CCombineKombinierenWas können wir zusammenführen? Welche Funktionen kombinieren?
    AAdaptAnpassenWas können wir von woanders übernehmen? Was adaptieren?
    MModifyModifizierenWas können wir vergrößern, verkleinern, verstärken, abschwächen?
    PPut to other useAnders nutzenWofür könnte es noch verwendet werden? Andere Zielgruppen?
    EEliminateWeglassenWas können wir streichen? Was ist überflüssig?
    RReverseUmkehrenWas passiert, wenn wir es umdrehen? Reihenfolge ändern?

    SCAMPER in der Praxis

    Ein Beispiel: Ein Team will den Onboarding-Prozess für neue Mitarbeiter verbessern. Die SCAMPER-Fragen könnten lauten:

    • Substitute: Was, wenn nicht die Personalabteilung, sondern das Team selbst onboardet?
    • Combine: Können wir Onboarding und erstes Projekt verbinden?
    • Adapt: Was machen erfolgreiche Apps wie Duolingo beim User-Onboarding?
    • Modify: Was, wenn Onboarding nur einen Tag statt einer Woche dauert?
    • Put to other use: Können wir das Onboarding-Material auch für Freelancer nutzen?
    • Eliminate: Was, wenn wir alle Formulare weglassen?
    • Reverse: Was, wenn neue Mitarbeiter zuerst arbeiten und dann die Einführung bekommen?
    Jede Frage eröffnet neue Denkrichtungen. In einem 90-minütigen Workshop kann ein Team systematisch alle sieben Perspektiven durcharbeiten und kommt auf 20-30 substanzielle Ideen.

    How Might We: Die richtige Frage stellen

    "How Might We"-Fragen (HMW) sind offene Problemformulierungen, die den Lösungsraum öffnen, ohne eine bestimmte Antwort vorzugeben. Sie transformieren Probleme in Chancen und sind der Startpunkt für jede erfolgreiche Ideation. Schlecht formulierte Fragen führen zu mittelmäßigen Ideen – die HMW-Methode verhindert das.

    Die Struktur ist einfach: "How might we [gewünschtes Ergebnis erreichen]?"

    • "How" signalisiert Offenheit – es gibt viele Wege.
    • "Might" senkt den Druck – es muss nicht perfekt sein.
    • "We" betont die Teamleistung – niemand muss allein die Lösung finden.

    Von Problemen zu HMW-Fragen

    ProblemSchwache FrageStarke HMW-Frage
    Kunden brechen Checkout abWie reduzieren wir Abbrüche?HMW den Checkout so einfach machen, dass Kunden ihn in 30 Sekunden abschließen?
    Meetings sind unproduktivWie machen wir Meetings besser?HMW Entscheidungen treffen, ohne in Meetings zu sitzen?
    Neue Features werden nicht genutztWie bringen wir Nutzer dazu, Features zu nutzen?HMW neue Features so gestalten, dass Nutzer sie von selbst entdecken und lieben?

    Regeln für gute HMW-Fragen

  • Nicht zu breit: "HMW die Welt verbessern?" lässt zu viel offen.
  • Nicht zu eng: "HMW den Button grün machen?" gibt die Lösung vor.
  • Nutzerzentriert: Die Frage sollte den Nutzer oder Kunden einbeziehen.
  • Positiv formuliert: Fokus auf Chancen, nicht auf Probleme.
  • In einem Ideation Workshop sollten Sie 15-20 Minuten investieren, um gemeinsam mit dem Team die richtige HMW-Frage zu formulieren. Diese Zeit zahlt sich später vielfach aus.

    Der 2-Stunden-Ideation-Workshop: Schritt für Schritt

    Ein gut strukturierter Ideation Workshop produziert in zwei Stunden 50 oder mehr Ideen – von der Fragestellung bis zur Priorisierung. Der Schlüssel liegt in der richtigen Abfolge von Einzelarbeit, Gruppenarbeit, Divergenz und Konvergenz.

    Zeitplan für einen 2-Stunden-Workshop

    ZeitPhaseAktivitätOutput
    0:00-0:10EinstiegCheck-in, Regeln erklärenFokus
    0:10-0:25Problem verstehenKontext teilen, HMW-Frage formulieren1-3 HMW-Fragen
    0:25-0:35Crazy 8s Runde 18 Ideen in 8 Minuten8 Ideen pro Person
    0:35-0:45TeilenGallery Walk, keine DiskussionInspiration
    0:45-0:55Crazy 8s Runde 2Neue Ideen, inspiriert von Runde 18 weitere Ideen
    0:55-1:10Pause
    1:10-1:25SCAMPER2-3 Perspektiven durcharbeiten10-15 Ideen
    1:25-1:40Ideen clusternÄhnliche Ideen gruppieren8-12 Cluster
    1:40-1:55Dot VotingJeder 3 Punkte verteilenPriorisierte Ideen
    1:55-2:00AbschlussNächste Schritte definierenAction Items

    Bei einem Team von 6 Personen entstehen so mindestens 48 Ideen aus Crazy 8s (6 × 8) plus weitere aus SCAMPER. Nach dem Clustering und Voting hat das Team 3-5 priorisierte Richtungen für die Weiterentwicklung.

    Materialien für den Workshop

    MaterialMenge (6 Personen)Verwendung
    A4-Papier20 BlattCrazy 8s
    Post-its100 StückSCAMPER, Clustering
    Dicke Marker12 StückSkizzen
    Klebepunkte30 StückVoting
    Timer1Timeboxing
    Whiteboard/Wand3-4 qmGallery Walk

    Weitere Ideation-Methoden im Überblick

    Neben Crazy 8s, SCAMPER und How Might We gibt es dutzende weitere Ideation-Techniken. Die Wahl der richtigen Methode hängt vom Kontext, der Teamzusammensetzung und der Problemstellung ab. Hier ein Überblick über bewährte Alternativen.

    MethodeDauerStärkeIdeal für
    Brainwriting (6-3-5)30 MinIntrovertierte einbindenGroße Gruppen
    Mind Mapping20-45 MinZusammenhänge sichtbar machenKomplexe Themen
    Reverse Brainstorming20 MinBlockaden lösenFestgefahrene Teams
    Round Robin30 MinJeder trägt beiHierarchische Teams
    Worst Idea First15 MinKreativität freischaltenÄngstliche Teams
    Analogie-Methode30 MinInspiration aus anderen BranchenInkrementelle Innovation

    Brainwriting 6-3-5

    Bei Brainwriting schreiben 6 Teilnehmer jeweils 3 Ideen auf, geben das Blatt weiter und ergänzen in 5 Runden. Nach 30 Minuten entstehen so 108 Ideen (6 × 3 × 6). Die Methode eignet sich besonders für Teams mit introvertierten Mitgliedern, da niemand laut sprechen muss.

    Worst Idea First

    Hier sammeln Teams bewusst die schlechtesten Ideen zur Problemlösung. Die Frage: "Was wäre der schlimmste Weg, dieses Problem zu lösen?" Das Ergebnis: Gelächter, Entspannung und oft überraschende Einsichten, wenn man die schlechten Ideen umdreht.

    Typische Fehler und wie Sie sie vermeiden

    Die häufigsten Gründe für gescheiterte Ideation-Workshops sind mangelnde Vorbereitung, falsche Fragestellung, zu frühe Bewertung und fehlende Weiterarbeit. Wer diese Stolperfallen kennt, kann sie umgehen.

    Fehler 1: Keine klare Fragestellung

    Ohne präzise HMW-Frage entstehen beliebige Ideen. Investieren Sie Zeit in die Fragestellung – sie ist das Fundament.

    Fehler 2: Ideen zu früh bewerten

    "Das haben wir schon probiert" oder "Das geht bei uns nicht" sind Ideenkiller. Trennen Sie Generierung strikt von Bewertung. Kritik ist erst nach dem Voting erlaubt.

    Fehler 3: Dominanz Einzelner

    Lassen Sie Crazy 8s und ähnliche Einzelarbeits-Phasen nicht ausfallen. Introvertierte brauchen Raum zum Denken, bevor sie teilen.

    Fehler 4: Keine nächsten Schritte

    50 Ideen auf Post-its sind wertlos, wenn sie in der Schublade verschwinden. Definieren Sie am Ende des Workshops, wer welche Idee weiterverfolgt und bis wann.

    Fehler 5: Falsche Zusammensetzung

    Nur Marketingleute im Marketing-Ideation-Workshop? Schlecht. Interdisziplinäre Teams produzieren bessere Ideen. Laden Sie bewusst "fachfremde" Personen ein.


    Wie viele Teilnehmer sind optimal für einen Ideation Workshop?

    5-8 Teilnehmer pro Gruppe sind ideal. Bei größeren Gruppen teilen Sie in parallele Teams auf, die am Ende ihre besten Ideen zusammenführen. Mehr als 12 Personen in einem Raum macht die Moderation schwierig.

    Funktionieren Ideation-Methoden auch online?

    Ja, mit Anpassungen. Tools wie Miro, Mural oder FigJam bieten digitale Crazy-8s-Templates. Die Timeboxes bleiben gleich, aber Sie brauchen klarere Ansagen und häufigere Check-ins. Die Energielevel sind online niedriger – planen Sie kürzere Sessions mit mehr Pausen.

    Was mache ich mit 50 Ideen nach dem Workshop?

    Clustern, priorisieren, weiterentwickeln. Die Top-3-Ideen aus dem Voting sollten innerhalb einer Woche in detailliertere Konzepte überführt werden. Für die anderen Ideen: Dokumentieren Sie sie – manche werden später relevant.

    Wie oft sollten wir Ideation Workshops durchführen?

    Das hängt vom Innovationsdruck ab. Produktteams profitieren von monatlichen Sessions, Strategieteams von quartalsweisen Workshops. Wichtig: Nicht zu oft, sonst werden die Sessions zur Routine und verlieren ihre Wirkung.

    Brauchen wir einen externen Moderator?

    Für die ersten ein bis zwei Workshops empfehlenswert. Erfahrene Moderatoren kennen die Methoden und können Energie-Tiefs abfangen. Langfristig lohnt sich die interne Ausbildung von Facilitatoren.