Jobs-to-be-Done Workshop: Was Kunden wirklich denken

Das berühmteste Beispiel: Niemand kauft einen Bohrer, weil er einen Bohrer will. Er will ein Loch in der Wand. Aber selbst das greift zu kurz – vielleicht will er ein Bild aufhängen, um sein Zuhause gemütlicher zu machen. Der „Job" ist nicht „Loch bohren", sondern „Zuhause verschönern". Unternehmen wie Airbnb, Spotify und Intercom nutzen JTBD, um genau diese tieferen Motivationen zu verstehen.
Was ist Jobs-to-be-Done?
JTBD ist ein Framework, das den Fokus von Produktattributen auf Kundenmotivationen verschiebt. Statt zu fragen „Welche Features wollen Kunden?", fragt JTBD „Welchen Fortschritt wollen Kunden in ihrem Leben erreichen?"
Die drei Dimensionen eines Jobs
| Dimension | Beschreibung | Beispiel (Kaffee unterwegs) |
|---|---|---|
| Funktional | Die praktische Aufgabe | Wach bleiben, Energie bekommen |
| Emotional | Wie sich der Kunde fühlen will | Sich belohnen, Ritual genießen |
| Sozial | Wie der Kunde wahrgenommen werden will | Als produktiv gelten, dazugehören |
Die meisten Produkte werden nur für den funktionalen Job entwickelt. Aber oft sind die emotionalen und sozialen Dimensionen entscheidend für die Kaufentscheidung.
Jobs vs. Features
| Traditioneller Ansatz | JTBD-Ansatz |
|---|---|
| „Kunden wollen Feature X" | „Kunden wollen Job Y erledigen" |
| „Unsere App braucht Dark Mode" | „Nutzer wollen abends entspannt lesen ohne Augenbelastung" |
| „Wir brauchen mehr Integrationen" | „Nutzer wollen ihre Arbeit nahtlos zwischen Tools fortsetzen" |
Der Unterschied: Features können obsolet werden, Jobs bleiben stabil. Menschen wollten schon immer unterwegs Musik hören – die Lösungen wechselten von Walkman zu iPod zu Spotify.
Warum JTBD funktioniert
JTBD erklärt Kaufentscheidungen besser als Demografie oder Psychografie. Zwei Menschen mit identischem Profil (Alter, Einkommen, Wohnort) können völlig unterschiedliche „Jobs" haben – und umgekehrt.
Das Milkshake-Beispiel
Clayton Christensens berühmte Studie: Eine Fast-Food-Kette wollte mehr Milkshakes verkaufen. Traditionelle Marktforschung fragte Kunden, wie sie den Milkshake verbessern würden – dicker, süßer, mehr Geschmacksrichtungen. Nichts funktionierte.
JTBD-Forschung entdeckte: Pendler kauften morgens Milkshakes für einen ganz anderen „Job" als Eltern nachmittags für ihre Kinder.
- Morgen-Job: „Mach meine langweilige Pendelfahrt interessanter und halte mich bis zum Mittagessen satt."
- Nachmittags-Job: „Sei ein guter Elternteil und mach mein Kind glücklich."
Die Erkenntnis: Derselbe Kunde kann dasselbe Produkt für völlig unterschiedliche Jobs „einstellen".
Workshop-Vorbereitung
JTBD-Interviews durchführen
Der wichtigste Input für einen JTBD-Workshop sind Kundeninterviews – aber mit speziellem Fokus.
Nicht fragen: „Was wollen Sie von unserem Produkt?" Sondern: „Erzählen Sie mir von dem Moment, als Sie sich entschieden haben, [Produkt] zu kaufen/nutzen."
Interview-Leitfragen:
- Was hat Sie dazu gebracht, nach einer Lösung zu suchen?
- Was haben Sie vorher genutzt? Warum hat das nicht mehr funktioniert?
- Welche Alternativen haben Sie in Betracht gezogen?
- Was hat den Ausschlag für Ihre Entscheidung gegeben?
- Was hat sich in Ihrem Leben verändert, seit Sie [Produkt] nutzen?
Forces of Progress
JTBD nutzt vier Kräfte, die jede Entscheidung beeinflussen:
PROGRESS (Fortschritt)
↑
┌───────────────────┼───────────────────┐
│ │ │
│ PUSH │ PULL │
│ (Problem mit │ (Anziehung │
│ aktueller │ der neuen │
│ Lösung) │ Lösung) │
│ │ │
└───────────────────┼───────────────────┘
│
┌───────────────────┼───────────────────┐
│ │ │
│ ANXIETY │ HABIT │
│ (Angst vor │ (Gewohnheit, │
│ Neuem) │ Bequemlich- │
│ │ keit) │
│ │ │
└───────────────────┴───────────────────┘
INERTIA (Trägheit)
- Push: Was treibt weg von der aktuellen Lösung?
- Pull: Was zieht zur neuen Lösung?
- Anxiety: Was erzeugt Angst vor dem Wechsel?
- Habit: Was hält bei der aktuellen Lösung fest?
Workshop-Ablauf: 2–3 Stunden
Phase 1: Kontext setzen (15 Minuten)
JTBD-Grundlagen erklären und Fokus definieren.
- Was ist ein „Job"? (funktional, emotional, sozial)
- Das Milkshake-Beispiel oder ähnliches teilen
- Fokus des Workshops: Welches Produkt/Feature/Segment analysieren wir?
- Interview-Erkenntnisse vorstellen (falls vorhanden)
Phase 2: Jobs identifizieren (45 Minuten)
Gemeinsam die Jobs herausarbeiten, die Kunden erledigen wollen.
Leitfrage: „Wenn Kunden unser Produkt ‚einstellen' – für welchen Job tun sie das?"
Job-Statement-Format:
Wenn ich [Situation],
will ich [Motivation/Job],
damit ich [erwartetes Ergebnis].
Beispiele:
- „Wenn ich morgens zur Arbeit pendle, will ich mich wach und fokussiert fühlen, damit ich produktiv in den Tag starte."
- „Wenn ich ein neues Teammitglied einarbeite, will ich sicherstellen, dass es schnell produktiv wird, damit ich mich auf meine eigene Arbeit konzentrieren kann."
Phase 3: Forces of Progress analysieren (45 Minuten)
Für die Top-3-Jobs: Welche Kräfte wirken?
Für jeden priorisierten Job:
- Push: Was frustriert Kunden an ihrer aktuellen Lösung?
- Pull: Was macht unsere Lösung attraktiv?
- Anxiety: Welche Bedenken haben Kunden vor dem Wechsel?
- Habit: Was hält Kunden bei ihrer aktuellen Lösung?
- Push verstärken (Problembewusstsein schaffen)
- Pull erhöhen (Vorteile klarer kommunizieren)
- Anxiety reduzieren (Garantien, Testimonials, einfaches Onboarding)
- Habit durchbrechen (Wechsel erleichtern, Migration unterstützen)
Phase 4: Competing Solutions (30 Minuten)
Wer oder was konkurriert um denselben Job?
JTBD erweitert den Blick auf Wettbewerb. Ein Milkshake konkurriert nicht nur mit anderen Milkshakes, sondern mit allem, was den Job „Pendelfahrt interessanter machen" erledigt: Podcasts, Musik, Bananen, Kaffee.
Fragen:
- Was nutzen Kunden heute, um diesen Job zu erledigen?
- Was sind die Alternativen – auch branchenfremde?
- Warum „feuern" Kunden bestehende Lösungen?
Phase 5: Implications und Next Steps (15 Minuten)
Was bedeuten die Erkenntnisse für Produkt und Marketing?
- Welche Features adressieren die wichtigsten Jobs?
- Welche Jobs adressieren wir noch nicht gut?
- Wie kommunizieren wir unseren Wert (Job-zentriert statt Feature-zentriert)?
- Was sind die nächsten Forschungs- oder Entwicklungsschritte?
Job Stories als Alternative zu User Stories
Job Stories sind eine JTBD-basierte Alternative zu klassischen User Stories.
| User Story | Job Story |
|---|---|
| Als [Rolle] will ich [Feature], damit [Nutzen]. | Wenn [Situation], will ich [Motivation], damit [Ergebnis]. |
| Als Nutzer will ich mich mit Social Login anmelden, damit ich kein Passwort brauche. | Wenn ich mich schnell anmelden will, ohne ein neues Passwort zu erstellen, will ich einen vertrauten Login nutzen, damit ich sofort loslegen kann. |
Der Unterschied: Job Stories fokussieren auf Situation und Motivation, nicht auf Rolle und Feature. Sie sind lösungsagnostischer und öffnen den Raum für kreativere Lösungen.
JTBD in der Praxis
Airbnb
Airbnb erkannte, dass der Job nicht „günstige Unterkunft finden" war, sondern „ein Reiseziel wie ein Local erleben". Das erklärt, warum sie gegen Hotels gewannen, obwohl Hotels objektiv „sicherer" und konsistenter sind. Der emotionale und soziale Job (authentische Erfahrung, Abenteuer, Geschichte zum Erzählen) überwog.
Spotify
Spotify konkurriert nicht nur mit Apple Music, sondern mit allem, was den Job „Musik jederzeit hören" erledigt – Radio, YouTube, Konzerte. Ihr Erfolg kam durch das Verstehen, dass der Job nicht „Musik besitzen" ist (wie bei iTunes), sondern „Zugang zu aller Musik haben, wann ich will".
Intercom
Das B2B-Unternehmen nutzt JTBD intensiv für Produktentwicklung. Ihr Mantra: „Start with the job, not with the product." Jedes Feature wird anhand des Jobs evaluiert, den es erledigen soll.
Häufige Fehler vermeiden
Fehler 1: Jobs zu lösungsspezifisch formulieren
Problem: „Kunden wollen eine mobile App" ist kein Job – es ist eine Lösung.
Lösung: Tiefer graben. Warum wollen sie eine App? „Kunden wollen unterwegs auf ihre Daten zugreifen, um spontan Entscheidungen treffen zu können."
Fehler 2: Nur funktionale Jobs sehen
Problem: Das Team fokussiert auf praktische Aufgaben und übersieht emotionale/soziale Dimensionen.
Lösung: Explizit nach allen drei Dimensionen fragen. Bei jedem funktionalen Job: „Wie will sich der Kunde dabei fühlen? Wie will er wahrgenommen werden?"
Fehler 3: Jobs mit Aufgaben verwechseln
Problem: „E-Mail schreiben" oder „Rechnung erstellen" sind Aufgaben, keine Jobs.
Lösung: Den „Job hinter dem Job" suchen. Warum schreibt jemand die E-Mail? Vielleicht: „Ich will eine wichtige Entscheidung beschleunigen, damit mein Projekt nicht stockt."
Fehler 4: JTBD einmal machen und vergessen
Problem: Jobs werden identifiziert, aber nicht in Produktentwicklung integriert.
Lösung: Jobs als Entscheidungskriterium nutzen. Bei jedem Feature fragen: „Welchen Job erledigt das besser?" Jobs in Roadmap-Diskussionen referenzieren.
Remote JTBD-Workshop
JTBD-Workshops funktionieren remote – mit angepasster Struktur.
Setup
- Miro/Mural: Canvas mit Job-Statement-Template und Forces-Diagramm
- Breakout-Rooms: Für parallele Analyse verschiedener Jobs
- Vorab-Arbeit: Interview-Zusammenfassungen vor dem Workshop teilen
Anpassungen
- Mehr Zeit für asynchrone Vorbereitung
- Kürzere, fokussiertere Sessions (max. 90 Minuten, dann Pause)
- Voting-Funktionen für Priorisierung
- Klare Dokumentation der Ergebnisse während des Workshops
JTBD-Interviews: Die Kunst der richtigen Fragen
Die Qualität des Workshops hängt von der Qualität der Interviews ab.
Timeline-Interview-Technik
Rekonstruiere den Entscheidungsprozess chronologisch:
Switch-Interview-Technik
Fokussiere auf den Moment des Wechsels:
- Von welcher Lösung sind Sie gewechselt?
- Was hat nicht mehr funktioniert?
- Was haben Sie sich erhofft?
- Was hat Sie fast davon abgehalten?
Fazit: Produkte, die Menschen wirklich wollen
Jobs-to-be-Done ist mehr als ein Workshop-Format – es ist eine Denkweise. Die Frage „Welchen Job erledigt das für den Kunden?" sollte jede Produktentscheidung begleiten.
Der größte Wert von JTBD liegt in der Entkopplung von Lösung und Bedürfnis. Wenn du den Job verstehst, kannst du bessere Lösungen entwickeln – auch solche, an die noch niemand gedacht hat. Unternehmen, die Jobs verstehen, werden seltener von Disruption überrascht.
Der nächste Schritt: Führe 5 JTBD-Interviews mit echten Kunden. Frage nach dem Moment der Entscheidung. Analysiere die Forces of Progress. Die Erkenntnisse werden überraschen – und Produktentscheidungen auf ein neues Fundament stellen.
Was ist der Unterschied zwischen JTBD und Personas?
Personas beschreiben, wer jemand ist (Demografie, Psychografie). JTBD beschreibt, was jemand erreichen will. Zwei völlig unterschiedliche Personas können denselben Job haben – und umgekehrt.
Wie viele Jobs sollte ich identifizieren?
Fokussiere auf 3–5 Haupt-Jobs. Zu viele Jobs verwässern den Fokus. Priorisiere nach Häufigkeit und strategischer Bedeutung.
Kann ich JTBD ohne Kundeninterviews machen?
Technisch ja, aber das Ergebnis ist dann Hypothese, nicht Erkenntnis. JTBD basiert auf echten Kundenstimmen – die Interview-Technik ist zentral.
Wie hängen JTBD und User Story Mapping zusammen?
JTBD identifiziert die Jobs (das „Warum"). User Story Mapping organisiert die Features (das „Was"). Idealerweise leiten sich User Stories aus Jobs ab.
Ist JTBD nur für Produktentwicklung relevant?
Nein. Marketing nutzt JTBD für Messaging (Job-zentrierte Kommunikation). Sales nutzt es für Gespräche (Probleme und Fortschritt verstehen). Customer Success nutzt es für Onboarding (sicherstellen, dass der Job erledigt wird).
Stand: Dezember 2025
Quellen: Clayton Christensen – Competing Against Luck Tony Ulwick – Jobs to be Done: Theory to Practice Bob Moesta – Demand-Side Sales Strategyn – Jobs-to-be-Done Framework Resources


