Transition Workshop: Vom Alten ins Neue begleiten

Viele Change-Projekte scheitern nicht an der Technik oder Strategie, sondern daran, dass die Menschen nicht mitkommen. Ein Transition Workshop adressiert genau das: Er gibt Teams Raum und Werkzeuge, um den emotionalen Übergang bewusst zu gestalten – das Alte loszulassen, die Unsicherheit der Übergangsphase zu navigieren und das Neue anzunehmen.
Das Bridges Transition Model
William Bridges identifizierte drei Phasen, die Menschen bei jeder Veränderung durchlaufen.
Change vs. Transition
| Change | Transition |
|---|---|
| Extern, situational | Intern, psychologisch |
| Kann schnell passieren | Braucht Zeit |
| Hat einen Startpunkt | Beginnt mit einem Ende |
| Kann verordnet werden | Muss erlebt werden |
| Fokus: Systeme, Prozesse | Fokus: Menschen, Emotionen |
Die drei Phasen
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│ PHASE 1 PHASE 2 PHASE 3 │
│ ENDING NEUTRAL ZONE NEW BEGINNING │
│ (Abschied) (Niemandsland) (Neuanfang) │
│ │
│ • Verlust • Verwirrung • Energie │
│ • Widerstand • Unsicherheit • Hoffnung │
│ • Angst • Kreativität • Commitment │
│ • Trauer • Innovation • Identität │
│ │
│ "Letting go of "In between "Making a fresh │
│ the old way" the old and new" start" │
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│ ZEIT │
│ │
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Wichtige Erkenntnis
Jede Transition beginnt mit einem Ende, nicht mit einem Anfang.
Menschen können das Neue erst annehmen, wenn sie das Alte losgelassen haben. Diesen Abschied zu ignorieren oder zu überspringen, führt zu Widerstand und unverarbeiteten Emotionen, die den Change sabotieren.
Phase 1: Ending (Abschied nehmen)
Bevor etwas Neues beginnen kann, muss etwas Altes enden.
Was Menschen erleben
| Emotion | Ursache |
|---|---|
| Verlust | Vertrautes verschwindet |
| Angst | Ungewissheit über die Zukunft |
| Widerstand | Wunsch, am Bekannten festzuhalten |
| Trauer | Abschied von Gewohntem |
| Verleugnung | „Das betrifft mich nicht wirklich" |
| Frustration | „Warum muss sich das ändern?" |
Die 4 D's des Endings (Bridges)
- Disengagement: Loslösung von vertrauten Rollen und Beziehungen
- Disidentification: Verlust der bisherigen Identität („Ich war der Experte für X")
- Disenchantment: Entzauberung – das Alte wird hinterfragt
- Disorientation: Orientierungslosigkeit – wo stehe ich jetzt?
Führungsaufgaben in Phase 1
- Anerkennen: Den Verlust ernst nehmen, nicht kleinreden
- Kommunizieren: Klar sagen, was endet und was bleibt
- Raum geben: Emotionen zulassen, nicht unterdrücken
- Würdigen: Das Alte ehren, bevor man es loslässt
Phase 2: Neutral Zone (Niemandsland)
Die Phase zwischen dem Alten und dem Neuen – oft die schwierigste Zeit.
Was Menschen erleben
| Emotion | Ursache |
|---|---|
| Verwirrung | Alte Wege funktionieren nicht mehr, neue noch nicht |
| Unsicherheit | Unklare Rollen, Prozesse, Erwartungen |
| Ungeduld | „Wann ist das endlich vorbei?" |
| Niedriger Energielevel | Veränderung kostet Kraft |
| Skeptizismus | „Wird das überhaupt funktionieren?" |
Die Chance der Neutral Zone
Paradox: Die Neutral Zone ist auch die kreativste Phase. Hier entstehen:
- Neue Ideen und Lösungen
- Innovation durch Experimentieren
- Stärkere Beziehungen durch gemeinsames Durchhalten
Führungsaufgaben in Phase 2
- Struktur geben: Temporäre Prozesse und klare Erwartungen
- Quick Wins schaffen: Frühe Erfolge zeigen, dass der Weg stimmt
- Kommunikation erhöhen: Mehr, nicht weniger Information
- Experimentieren ermöglichen: Fehler als Lernen akzeptieren
- Geduld haben: Die Phase braucht Zeit – Druck erhöht Widerstand
Phase 3: New Beginning (Neuanfang)
Wenn Menschen die Veränderung annehmen und neu starten.
Was Menschen erleben
| Emotion | Ursache |
|---|---|
| Energie | Klarheit über die Richtung |
| Hoffnung | Positive Erwartung an die Zukunft |
| Engagement | Bereitschaft, sich einzubringen |
| Identität | Neue Rolle wird angenommen |
| Kompetenz | Fähigkeiten im Neuen wachsen |
Die 4 P's für New Beginnings (Bridges)
- Purpose: Warum ist diese Veränderung wichtig?
- Picture: Wie sieht der Zielzustand aus?
- Plan: Wie kommen wir dorthin?
- Part: Welche Rolle spiele ich dabei?
Führungsaufgaben in Phase 3
- Vision kommunizieren: Das „Wohin" klar machen
- Erfolge feiern: Meilensteine anerkennen
- Identität stärken: Neue Rollen und Kompetenzen würdigen
- Verankerung: Neue Verhaltensweisen in Strukturen einbetten
Workshop-Ablauf: 3–4 Stunden
Vorbereitung
Kontext:
- Im Rahmen einer laufenden Veränderung
- Team, das direkt betroffen ist
- Führungskraft als Teilnehmer, nicht als Moderator (externer Facilitator empfohlen)
- Transitions-Modell als Poster
- Flipcharts für jede Phase
- Sticky Notes, Marker
- Persönliche Reflexionsbogen
Phase 1: Check-in und Rahmen (20 Minuten)
Ankommen und Orientierung.
Check-in-Frage: „Wenn du an die aktuelle Veränderung denkst – welches Wort beschreibt, wie es dir damit geht?"
- Jeder teilt ein Wort (ohne Diskussion)
- Facilitator sammelt – macht Stimmungsbild sichtbar
- Das Bridges-Modell erklären
- Unterschied Change vs. Transition
- Ziel des Workshops: Bewusst durch die Transition navigieren
Phase 2: Ending – Was endet? (40 Minuten)
Das Alte würdigen und loslassen.
Einzelreflexion (10 Min.): Jeder beantwortet für sich:
- Was endet durch diese Veränderung für mich persönlich?
- Was verliere ich? (Routinen, Beziehungen, Kompetenzen, Status)
- Was davon fällt mir schwer loszulassen?
- Partner erzählen sich gegenseitig ihre Reflexion
- Aktives Zuhören, keine Ratschläge
- Was sind die gemeinsamen Verluste?
- Was davon wird oft nicht ausgesprochen?
- Flipchart: „Was endet für uns"
- Symbolische Handlung: Aufschreiben, was losgelassen wird, und bewusst zur Seite legen
- Oder: Gemeinsam würdigen, was im Alten gut war
Phase 3: Neutral Zone – Wo stehen wir? (40 Minuten)
Die Unsicherheit navigieren.
Team-Übung: Wo stehe ich? (10 Min.)
- Linie im Raum: Ein Ende = „Noch im Alten", anderes Ende = „Angekommen im Neuen"
- Jeder positioniert sich physisch
- Kurzer Austausch: Warum stehst du hier?
- Was macht diese Übergangsphase schwierig?
- Was hilft uns, sie zu überstehen?
- Was brauchen wir von der Führung / voneinander?
- Ergebnisse teilen
- Konkrete Vereinbarungen: Was können wir tun, um die Neutral Zone leichter zu machen?
Phase 4: New Beginning – Wohin gehen wir? (35 Minuten)
Das Neue greifbar machen.
Visionsübung (15 Min.): „Stell dir vor, es ist ein Jahr später. Die Veränderung ist gelungen. Du kommst morgens zur Arbeit..."
- Was ist anders?
- Wie fühlt es sich an?
- Was kannst du jetzt, was du vorher nicht konntest?
Austausch (15 Min.):
- Kleingruppen teilen ihre Visionen
- Gemeinsame Elemente identifizieren
- Was davon begeistert uns?
- Jeder formuliert: „Mein erster Schritt Richtung New Beginning ist..."
Phase 5: Abschluss und Vereinbarungen (15 Minuten)
Transfer sichern.
- Was nehme ich aus dem Workshop mit?
- Welche Unterstützung brauche ich?
- Was können wir als Team tun?
- Nächster Check-in-Termin vereinbaren
Praktische Übungen für Transitions-Workshops
Übung: Die Veränderungskurve zeichnen
Jeder zeichnet seinen persönlichen Verlauf durch die Veränderung:
- X-Achse: Zeit
- Y-Achse: Energie/Stimmung
- Markante Punkte benennen
Übung: Brief an mein zukünftiges Ich
Schreibe einen Brief an dich selbst in 6 Monaten:
- Was hast du losgelassen?
- Wie hast du die Neutral Zone überstanden?
- Was ist jetzt anders?
Übung: Was nehme ich mit, was lasse ich zurück?
Zwei Koffer (metaphorisch oder als Bild):
- Koffer 1: Was nehme ich mit ins Neue? (Kompetenzen, Werte, Beziehungen)
- Koffer 2: Was lasse ich zurück? (Gewohnheiten, Überzeugungen, Verhaltensweisen)
Übung: Landmarks setzen
Als Gruppe definieren:
- Woran erkennen wir, dass wir in der Neutral Zone sind?
- Woran erkennen wir, dass wir im New Beginning angekommen sind?
- Welche Rituale können uns helfen?
Führung durch Transitions
Für Führungskräfte: Die eigene Transition zuerst
Führungskräfte durchlaufen dieselben Phasen wie ihre Teams – oft mit weniger Raum dafür. Bevor man andere begleiten kann, braucht es Selbstreflexion:
- Wo stehe ich selbst in der Transition?
- Was sind meine eigenen Verluste?
- Wie gehe ich mit meiner Unsicherheit um?
Kommunikation in jeder Phase
| Phase | Kommunikationsfokus |
|---|---|
| Ending | Was endet, was bleibt. Warum die Veränderung. Raum für Emotionen. |
| Neutral Zone | Fortschritt, Quick Wins, Unterstützungsangebote. Häufiger, nicht weniger kommunizieren. |
| New Beginning | Vision, Erfolge, neue Identität. Würdigung der Reise. |
Menschen bewegen sich unterschiedlich schnell
Nicht alle sind gleichzeitig in derselben Phase. Das ist normal. Führungsaufgabe: Alle Phasen gleichzeitig bedienen, niemanden zurücklassen.
Transitions im Remote-Kontext
Virtuelle Teams brauchen besonders bewusste Transition-Begleitung.
Herausforderungen
- Weniger informeller Austausch über Emotionen
- Schwieriger, Stimmungen zu lesen
- Isolation verstärkt Unsicherheit
Anpassungen
- Mehr Check-ins: Regelmäßig nach dem emotionalen Zustand fragen
- Kleingruppen: Breakout-Rooms für persönlicheren Austausch
- Visuelle Tools: Miro/Mural für kollaborative Übungen
- Asynchrone Reflexion: Zeit für schriftliche Verarbeitung geben
Integration mit anderen Change-Modellen
Bridges + Kotter
Kotters 8 Stufen fokussieren auf das „Was", Bridges auf das „Wie fühlt es sich an":
- Kotter Stufe 1 (Urgency) → Bridges Phase 1 (Ending verstehen)
- Kotter Stufen 4–6 → Bridges Phase 2 (Neutral Zone navigieren)
- Kotter Stufen 7–8 → Bridges Phase 3 (New Beginning verankern)
Bridges + Lewin
Lewins Unfreeze–Change–Refreeze parallel zu Bridges:
- Unfreeze → Ending
- Change → Neutral Zone
- Refreeze → New Beginning
Bridges + Kraft-Feld-Analyse
Emotionale Widerstände (Angst, Verlust) sind oft die stärksten hemmenden Kräfte. Die Transitions-Arbeit adressiert sie direkt.
Fazit: Menschen mitnehmen, nicht nur Prozesse ändern
Veränderung ohne Transition ist wie ein Gebäude ohne Fundament. Es mag äußerlich fertig aussehen, aber es hält nicht.
Der Transition Workshop gibt Teams den Raum, den emotionalen Übergang bewusst zu gestalten. Er macht das Unsichtbare sichtbar – die Verluste, die Unsicherheit, die Hoffnung. Und er zeigt: Diese Gefühle sind normal, sie gehören dazu, und wir können sie gemeinsam navigieren.
Der nächste Schritt: Frage dein Team – nicht „Wie läuft die Umstellung?", sondern „Wie geht es euch damit?". Die Antworten werden dir zeigen, wo ihr in der Transition steht.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen Transition Workshop?
Idealerweise früh in der Veränderung – wenn die Ending-Phase beginnt. Aber auch mitten in der Neutral Zone kann ein Workshop helfen, wenn das Team struggelt.
Kann ich als Führungskraft den Workshop selbst moderieren?
Möglich, aber nicht ideal. Als Führungskraft bist du Teil des Systems und hast eigene Interessen. Ein externer Facilitator ermöglicht offenere Gespräche.
Was, wenn jemand im Team in einer anderen Phase ist als die anderen?
Das ist normal. Wichtig ist, alle Phasen zu adressieren und niemanden zu drängen. Peer-Support hilft: Wer schon weiter ist, kann andere unterstützen.
Wie lange dauert eine Transition?
Es gibt keine Standardantwort. Kleine Veränderungen: Wochen. Große Transformationen: Monate bis Jahre. Menschen bewegen sich unterschiedlich schnell.
Was, wenn das Management keine Zeit für „Emotionen" hat?
Emotionen verschwinden nicht, wenn man sie ignoriert – sie kommen als Widerstand, Fluktuation und Produktivitätsverlust zurück. Die Investition in Transition-Arbeit spart später Zeit und Kosten.
Stand: Dezember 2025
Quellen: William Bridges – Managing Transitions: Making the Most of Change William Bridges Associates – Transition Model Resources Toolshero – Bridges Transition Model Explained Whatfix – Bridges Transition Model Implementation Guide


